Systemwissenschaftliche Anwendungen in der Medizin sind seit den 1950er Jahren bekannt, als Ludwig von Bertalanffy seine allgemeine Theorie lebender Systeme begründete. Gegenwärtig erhält diese Perspektive durch neue technologische und formale Methoden in der modernen Biologie und Medizin neue Unterstützung.
Das aufstrebende Feld der Systemmedizin zielt auf ein systemisches Verständnis von Gesundheit und Krankheit auf der Basis komplexer molekularer Datensätze, die durch Hochdurchsatztechnologien gewonnen und mit mathematischen Werkzeugen der Komplexitätsforschung analysiert werden. Diese neuen Ansätze versprechen eine bessere Diagnose, Behandlung, Vorhersage und Vorbeugung von Krankheiten durch personalisierte Daten und Beteiligung des Patienten.
Aber nicht nur das Systemdenken in der Medizin, auch das Systemdenken der Medizin ist wichtig: Jenseits ökonomischer Ansätze sind die Methoden der Systemanalyse und des Systemdesigns nützliche Werkzeuge für die Struktur- und Funktionsanalyse sowie die Transformation von Gesundheitssystemen.
Systemmedizin
Die Erhaltung von Gesundheit und die Entstehung von Krankheiten sind das Ergebnis komplexer dynamischer Wechselwirkungen. Systemmedizin ist die Anwendung systembiologischer Ansätze in der medizinischen Forschung und Praxis. Ihr Ziel ist es, eine Vielzahl biologischer/medizinischer Daten auf allen relevanten Organisationsebenen zu integrieren und dabei die Möglichkeiten der rechnerischen und mathematischen Modellierung zu nutzen, von der Ebene der inter- und intrazellulären molekularen Netzwerke der Zelle bis hin zu den Ebenen der Interdependenz des Menschen und seiner Umwelt.
Da viele Nebenwirkungen von Medikamenten durch die Verknüpfung verschiedener Organsysteme wie Herz und Lunge, Immunsystem, endokrines System und Nervensystem verursacht werden, ist ein neuer Ansatz in der Medizin notwendig. Diese Zusammenhänge werden statistisch als Komorbidität bezeichnet.
Der erste Schritt in Richtung Systemmedizin sah ein besseres Verständnis von Funktionen und Dysfunktionen des Organismus durch Computersimulationen von Zell- und Gewebeprozessen vor. Die Zusammenhänge können nun durch solche Modelle, die auf Daten von inter- und intrazellulären molekularen Netzwerken (Zytokine, Neurotransmitter, etc.) basieren, interpretiert werden.
Systeme der Gesundheitsversorgung
Gegenwärtig konstituiert sich auch eine klinische Systemmedizin, die das Zusammenspiel organismischer Subsysteme in den Mittelpunkt stellt. Einige Protagonisten nennen dies die 4P-Medizin, für personalisierte (individuelle Genomanalyse), prädiktive, präventive und partizipative Medizin (L. Hood, Institute for Systems Biology, Seattle), um innovative Therapien und maßgeschneiderte Präventivbehandlungen zu entwickeln.
Die Zukunftsperspektive ist ein Szenario, in dem sich das Gesundheitssystem selbst auf der Basis dieser Erkenntnisse verändern könnte. Ein komplementärer Forschungsschwerpunkt des Bertalanffy Center im Bereich Service Systems Design für groß angelegte, komplexe soziale Systeme mit vielen Akteuren wie das Gesundheitswesen könnte der nächste vielversprechende Schritt sein.
Prof. Dr.Dr.Dr. Felix Tretter ist Professor für Klinische Psychologie an der Universität München und Vizepräsident der Bayerischen Akademie für Suchtfragen. Zuvor war er Oberarzt einer Abteilung für Suchtkrankheiten in einer psychiatrischen Klinik; seine Forschungsinteressen sind Sucht, Neurobiologie, Systemwissenschaft, Humanökologie und Philosophie. Er studierte Psychologie, Medizin und Sozialwissenschaften an der Universität Wien und München und betrieb mehrere Jahre experimentelle Hirnforschung am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München. felix.tretter@bcsss.org
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